19.7.-20.7., Anreise

08:19 ICE von Hannover nach Hamburg, 11:35 Flieger nach London Heathrow, ein ganz normaler Urlaubsanfang. Doch schon während ich in Heathrow darauf warte, dass das Gate für meinen Flug nach Tokyo auf der Anzeigetafel erscheint, habe ich das erste Erfolgserlebnis: Ich höre eine Durchsage, mir dämmert nach einigen Sätzen, dass das Japanisch ist, und mir dämmert weiter, dass es sich um meinen Flug handelt und soeben durchgesagt wurde, dass ich mich nach Gate 30 begeben soll. Ich schaue auf die Anzeigetafel, und dort erscheint tatsächlich nach einigen Sekunden Gate 30, auf Englisch alles natürlich.

Nicht, dass jetzt einer im Überschwang meint, mein Japanisch wäre schon so perfekt. Aber ich kann Japanisch schon zweifelsarm von anderen Sprachen unterscheiden, kann Zahlen verstehen und habe ein Gefühl defür, wie die japanischen Verballhornungen ausländischer, vor allem englischer Wörter klingen. Und so ist es eben mit Büritishü Eawais (so heißt meine Fluglinie) und Geetü (ratet mal) und der Flugnummer nicht soo schwierig.

Tokyo, Flughafen Narita. Der Einwanderungsbeamte erwidert mein formvollendetes "ohayo gozaimasu" nach einem Blick auf meinen Pass mit "guten Morgen", wechselt aber dann doch ein paar Worte mir mir auf Japanisch, weil ich als Zweck meiner Reise "study" angegeben habe. Ich kann ihm tatsächlich auf Japanisch erklären, dass ich hier bin, um Japanisch zu lernen, und er wünscht mir viel Erfolg dabei. Der Zollbeamte will in meine Tasche schauen, vermutlich, weil ich die lange, deutschsprachige Liste von Drogen und sonstwie anmeldepflichtigen oder verbotenen Waren vielleicht allzu schnell überflogen und abgenickt habe. Schließlich will er auch ernst genommen werden.

Am Fahrkartenschalter geht das Japanisch dann blitzschnell zur Neige. Die Sprachschule hat mir ja alles perfekt organisiert und will mich abholen - vom Bahnhof Okazaki. Immerhin weiß ich, dass ich mit einer Bahn nach Ueno fahren, mit einer anderen zum Bahnhof Tokyo und dann mit dem Shinkansen nach Nagoya, von dort weiter mit einem Vorortzug nach Okazaki. Das kann doch nicht so schwer sein. Nach einem kurzen Wortwechsel gibt der freundliche Schalterbeamte das mit dem Japanisch auf und erklärt mir auf Englisch, dass der Weg über Toyohashi kürzer sei, aber der über Nagoya, den ich haben wolle, schneller. Wenn ich aber über Nagoya fahren wolle, müsste ich die Fahrkarte in Okazaki kaufen. Äh - aber da will ich doch gerade erst hin!? Nach langen Diskussionen über die Frage, ob ich vielleicht doch eine Rückfahrkarte will und das Missverständnis vielleicht damit zusammenhängt, klärt sich die Geschichte, und ich löse eine einfache Fahrt nach Nagoya, weil er mir eine Fahrkarte nach Okazaki nur über Toyohashi ausstellen hätte können. Fast wär ich ja über Toyohashi gefahren... So kostet der Spaß 11.190 Yen, gar nicht billig das. Und zu allem Überfluss nimmt er keine Kreditkarte und knöpft mir gleich über die Hälfte von den 20.000 Yen, die ich zuvor am Bankautomaten gezogen hatte, wieder ab.

Sehr personalintensiv, die Bahnhöfe in Japan. Nach einem vollautomatischen Ticket-Kontrollier-Automaten, der mich erstmal wild anpiept, weil ich dachte, wenn da keine Schranke zu ist, darf man durchgehen (nein, die Dinger sind bidirektional, und wenn auf einer Seite einer reingeht, ohne ne Fahrkarte reinzustecken, geht auf der anderen Seite schnell die Schranke zu und hält ihn auf, also doch nicht wie in Paris), kommt jedenfalls nochmal eine menschliche Fahrkartenkontrolleuse. Und am Bahnsteig steht dann an jeder Wagentür ein wichtiger Uniformierter, der darüber wacht, ob ich auch in den von mir reservierten Wagen steige und auch an der richtigen Stelle warte. Das gibt mir ein Gefühl der Sicherheit; ihm zeige ich einfach meine ausschließlich mit japanischen Schriftzeichen und arabischen Ziffern bedruckte Fahrkarte und steige beruhigt dort ein, wo ich ohne ihn auch eingestiegen wäre.

Am übernächsten Bahnhof beobachte ich diese Türsteher aus dem Augenwinkel und sehe, dass sie tatsächlich vor mir strammstehen, wenn der Zug abfährt. Nun ja, wahrscheinlich nicht ausgerechnet vor mir, aber irgendwie doch verblüffend synchron alle genau vor mir. Haben die ein Europäer-Radar? Oder stehen die vor Wagen 2 stramm? Oder immer genau, wenn sie das Ende des Zuges erblicken? Ich krieg mich immer noch nicht wieder ein, das ist ja wie beim Bund, wenn einer angeschrien wird und die Grundstellung einnimmt, wenn Ihr wisst, was ich meine. Einer nach dem anderen. Nur dass hier einfach nur ein Zug abfährt.

Ich finde, ein Sprachreiseveranstalter, der einen Deutschen mit unbekannten Japanischkenntnissen nach Okazaki schickt, hätte ihm ruhig erklären können, dass man in Ueno aus dem Bahnhof raus und in einen 100 Meter entfernten anderen Bahnhof rein muss, um dort in die Yamanote-Linie nach Tokyo zu steigen. So ne kleine Wegbeschreibung könnte viel potenziellen Frust vermeiden. Aber wie durch ein Wunder latsche ich immer genau in die richtige Richtung. Das gilt auch fürs Besteigen des Shinkansen, wo ich den - zugegebenermaßen englischen - Schildern folgend in einen der drei Wagen für Leute ohne Reservierung steige, der sich - den Teil versteh ich sogar in der japanischen Durchsage wieder - als einer von zwei Nichtraucherwagen herausstellt.

Am Shinkansen könnte sich die Deutsche Bahn ne Scheibe abschneiden. Super geräumig, super sauber (so ne Toilette hab ich im Zug noch nie gesehen, und ein Desinfektionstuch für den Toilettensitz ist auch dabei), super pünktlich und ... super teuer. Da ist der Haken. An die 100 Euro für knapp 2 Stunden Fahrvergnügen (muss das mit dem Yen mal noch umrechnen lernen, sind wohl so eher in der Größenordnung 75).

Gerade als ich mich richtig gesetzt habe und mir überlege, dass mir der Magen knurrt, kommt eine freundliche Japanarin mit o bento Foto dazu, das ich beherzt für 1100 Yen kaufe. Mit dem gleichnamigen Gericht, das wir beim Sushi Gim immer essen, hat es optisch eine größere Ähnlichkeit als geschmacklich. Aber es ist Fisch dabei, eine Art Fleischbällchen und so einige Dinge, von denen ich nicht so recht beschreiben kann, wie sie schmecken oder gar, was sie sind Foto dazu. Aber ich werde satt. Und der Getränkeverkäufer kommt auch auf telepathischen Zuruf vorbei, versteht meinen auf Japanisch geäußerten Wunsch nach einem Wasser, um mir dann aber den Preis auf Englisch zu nennen. Ja ja, ich hätte o mizu und nicht nur mizu sagen müssen, diese Höflichkeitspartikel hätte da reingehört, in der Theorie ist mir das schon klar. Oder liegts doch einfach nur an meinen blonden Haaren und blauen Augen?

"Excuse me", höre ich von hinten, und eine Mitreisende weist mich darauf hin, dass wir zur Rechten gerade Mount Fuji sehen ... etliche Japaner schauen ebenfalls andächtig aus dem Fenster. Da bin ich aber froh, dass ich jetzt weiß, welcher von den ganzen Bergen das nun war, ich mache schnell ein Foto Foto dazu. Ansonsten gibts nicht allzu viele Fotos vom ersten Tag, weil es mir mit meinem ganzen Geraffel einfach zu blöd war, auch noch die ganze Zeit mit der Kamera zu jonglieren.

Bei dem Vorortzug von Nagoya nach Okazaki erwische ich anscheinend den falschen, nämlich einen, der an jedem Misthaufen hält. Immerhin fährt er nach Okazaki, aber mit welchem Trick man den Expresszug findet, der nicht überall hält, das muss ich wohl nächstes Mal rausfinden. So kenne ich nun jeden Bahnhof zwischen Nagoya und Okazaki.

Ich sitze ziemlich weit vorne und beobachte mit Befremden den Fahrer, der in seiner adretten Uniform stocksteif auf seinem Stühlchen sitzt und alle 30 Sekunden eine amtlich aussehende Geste vollführt. Meist zeigt er mit dem (in einem weißen Handschuh steckenden) Finger einfach geradeaus, manchmal aber auch nach links oder rechts, so als wollte er seinem Zug den Weg zeigen. Oder er fährt mit seinem Finger an Zeilen oder Spalten seines Fahrplans entlang, um sich zu vergewissern, dass die Bahnhöfe tatsächlich in der angekündigten Reihenfolge kommen. In mir keimt der Verdacht, dass er wirklich im 30-Sekunden-Takt überprüft, wie weit er ist, um minutengenau in den Bahnhöfen anzukommen und abzufahren. Ich trete näher und überzeuge mich: Die Zeiten, die er auf seinem Plan stehen hat, hält er tatsächlich exakt ein. Wahnsinn! Ich glaube, eine ähnliche Geschichte steht in dem Buch "Darum nerven Japaner", aber dass ich das gelesen habe, ist schon wieder so lange her, dass ichs nicht mehr genau weiß. Vielleicht hätt ich doch ein Foto machen sollen, aber ich bin mittlerweile so schlapp, wie man es eben ist, wenn man eine Nacht quasi durchgemacht, nur eine Stunde geschlafen hat, und es gefühlte Uhrzeit 8 Uhr morgens ist.

Um 15 Uhr, pardon, 15:02, ich habe den Eindruck, er ist auf der Zielgeraden extra langsam gefahren, damit er nicht vor 15:02 in Okazaki ankommt, bin ich endlich da. Ich rufe (zum zweiten Mal, aber ich kann ja nicht alles hier haarklein erzählen) die Sprachschule an und werde abgeholt.

[Geschichte am Rande: Ich habe ein UMTS-Handy mit, das mir unsere Mobilfunk-Fraktion oder eigentlich Vodafone geliehen hat. Darin steckt meine O2-SIM-Karte. Meine Kollegen waren skeptisch, ob denn das in Japan dasselbe UMTS ist wie in Deutschland, Ihr wisst schon, wegen der linksdrehend polarisierten Funkwellen, während in Deutschland ja bekanntlich Rechtsverkehr herrscht. Die O2-Hotline glänzte auch mit großer Fachkkompetenz: Der erste Hotliner fing an zu dozieren, dass ich ein Tri-Band-Handy brauche und ich habe ihn unterbrochen und gemeint, dass er gerade das Tonband für Amerika abspielt und ich etwas über UMTS wissen will. Der dann eilends an die Strippe geholte UMTS-Fachman versichterte mir sehr kompetent klingend und seiner Sache sicher, dass das UMTS ein anderes sei und verwies mich an die Firma Cellhire, wo man für ein Schweinegeld ein Handy nach dem Japan-eigenen Standard mieten und dann für 6 Euro die Minute nach Hause telefonieren kann. Nein danke. Meine eigenen Recherchen erwiesen sich doch als zutreffender; das UTMS-Dingens, das ich wie gesagt freundlicherweise von Vodafone habe, geht im japanischen Vodafone-Netz ganz prima. Ich will nur nicht wirklich wissen, wie hoch die Gesprächsgebühren sind. Oder gar, was passiert, wenn ich es schaffen sollte, damit über UMTS ein Videotelefonat nach Deuschland zu führen. Ich glaub, das lass ich lieber, die Reise war schon teuer genug.]

Zur Begrüßng erfahre ich in einem ziemlich langen Wortschwall auf Japanisch, dass man noch keine Gastfamilie für mich gefunden habe und das Wohnheimzimmer auch noch nicht frei sei, sodass man mich in einem Hotel untergebracht habe. Weil ich Angst habe, dass das, was ich gerade gehört habe, auch etwas komplett anderes geheißen haben könnte, sage ich wakarimasen und hör es mir nochmal auf Englisch an ... doch, ich bin zufrieden, habe im ersten Durchgang erstaunlich viel aufgeschnappt. In der englischen Version habe ich zusätzlich noch mitbekommen, dass man sich weiterhin bemühen will, eine Gastfamilie zu finden, und das vielleicht noch klappt. Und dass das mit dem Hotel nur für eine Nacht sein soll, und es danach ins Wohnheim geht.

Das Hotel ist direkt gegenüber und sieht auf den ersten Blick schmuddelig aus, das Zimmer ist aber sauber und halt klein. Hier ist eine Schweinehitze, und als ich das Zimmer betrete, läuft mir der Schweiß nur so runter (2. Stock, kein Aufzug). Das Zimmer ist nicht klimatisiert. Mist. Nach einer ausgiebigen kalten Dusche (pardon, lauwarmen Dusche, kälteres Wasser krieg ich hier einfach nicht) schwitz ich weiter und finde zum Glück doch noch den Schalter für die Klimaanlage. tasukarimashita - ich bin gerettet, denk ich. Was auf dem Schild steht, das zwischen Klimaanlagen-Schalter und Telefon hängt, weiß ich nicht. Ich glaube, zwischen all den Zeichen die beiden für denwa - Elektrizität-sprechen, also Telefon - zu erkennen. Also handelt es sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nicht um eine Warnung, die Klimaanlage nicht allzu doll einzuschalten. Die Klimaanlage hilft relativ schnell, puh. Auf dem Bett liegt neben den Handtüchern ein dünner Bademantel, und davor stehen Plastik-Schlappen. Ansonsten ein eher einfaches Hotel westlichen Standards. Ach ja, einen Hightech-Wasserkocher gibt es, den ich lieber nicht anfasse, und dazu Teekanne, Teepulver und Teetasse. Ist also doch in Japan ein bisschen anders als sonstwo.

Das Hotel hier ist ein bijinesu hoteru oder so. Also nix Spaß, Business. Nach 23 Uhr kein Ein- oder Auslass und kein warmes Wasser mehr. Frühstück nur von 7 bis 8, Checkout bis 10. Und morgens warmes Wasser zum Duschen auch nur von 6 bis 9. Na Mahlzeit. Aber ich lebe ja eh in einer anderen Zeitzone, hab die Klippen in der Bedienung des Dosenbier-Automaten im Erdgeschoss umschifft und geh jetzt einfach schlafen. Und schließlich bin ich nicht zum Vergnügen hier.

Der extra aus Deutschland mitgebrachte Adapterstecker für japanische Steckdosen passt nicht. Ich hab so einen vornehmen mit, der auch einen Erdungsstift hat, hier gibt es aber nur die primitiv-amerikanischen zwei Schlitze. Also muss ich mein Tagebuch schnell schreiben, denn wenn der Akku leer ist, ist er leer. Offensichtlich hält er es bis zum Ende durch, denn jetzt werde ich glaube ich demnächst erschöpft ins Bett fallen. Huch, hier wird es ja um 19 Uhr Ortszeit schon dunkel. Das trifft sich ja gut ...

 

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©2004 by Harald Bögeholz