08:19 ICE von Hannover nach Hamburg, 11:35 Flieger nach London
Heathrow, ein ganz normaler Urlaubsanfang. Doch schon während ich
in Heathrow darauf warte, dass das Gate für meinen Flug nach
Tokyo auf der Anzeigetafel erscheint, habe ich das erste
Erfolgserlebnis: Ich höre eine Durchsage, mir dämmert nach
einigen Sätzen, dass das Japanisch ist, und mir dämmert
weiter, dass es sich um meinen Flug handelt und soeben durchgesagt
wurde, dass ich mich nach Gate 30 begeben soll. Ich schaue auf die
Anzeigetafel, und dort erscheint tatsächlich nach einigen
Sekunden Gate 30, auf Englisch alles natürlich.
Nicht, dass jetzt einer im Überschwang meint, mein Japanisch
wäre schon so perfekt. Aber ich kann Japanisch schon zweifelsarm
von anderen Sprachen unterscheiden, kann Zahlen verstehen und habe ein
Gefühl defür, wie die japanischen Verballhornungen
ausländischer, vor allem englischer Wörter klingen. Und so
ist es eben mit Büritishü Eawais (so heißt meine
Fluglinie) und Geetü (ratet mal) und der Flugnummer nicht soo
schwierig.
Tokyo, Flughafen Narita. Der Einwanderungsbeamte erwidert mein
formvollendetes "ohayo gozaimasu" nach einem Blick auf meinen Pass mit
"guten Morgen", wechselt aber dann doch ein paar Worte mir mir auf
Japanisch, weil ich als Zweck meiner Reise "study" angegeben habe. Ich
kann ihm tatsächlich auf Japanisch erklären, dass ich hier
bin, um Japanisch zu lernen, und er wünscht mir viel Erfolg
dabei. Der Zollbeamte will in meine Tasche schauen, vermutlich, weil
ich die lange, deutschsprachige Liste von Drogen und sonstwie
anmeldepflichtigen oder verbotenen Waren vielleicht allzu schnell
überflogen und abgenickt habe. Schließlich will er auch
ernst genommen werden.
Am Fahrkartenschalter geht das Japanisch dann blitzschnell zur
Neige. Die Sprachschule hat mir ja alles perfekt organisiert und will
mich abholen - vom Bahnhof Okazaki. Immerhin weiß ich, dass
ich mit einer Bahn nach Ueno fahren, mit einer anderen zum Bahnhof
Tokyo und dann mit dem Shinkansen nach Nagoya, von dort weiter mit
einem Vorortzug nach Okazaki. Das kann doch nicht so schwer sein. Nach
einem kurzen Wortwechsel gibt der freundliche Schalterbeamte das mit
dem Japanisch auf und erklärt mir auf Englisch, dass der Weg
über Toyohashi kürzer sei, aber der über Nagoya, den
ich haben wolle, schneller. Wenn ich aber über Nagoya fahren
wolle, müsste ich die Fahrkarte in Okazaki kaufen. Äh - aber
da will ich doch gerade erst hin!? Nach langen Diskussionen über
die Frage, ob ich vielleicht doch eine Rückfahrkarte will und das
Missverständnis vielleicht damit zusammenhängt, klärt
sich die Geschichte, und ich löse eine einfache Fahrt nach
Nagoya, weil er mir eine Fahrkarte nach Okazaki nur über
Toyohashi ausstellen hätte können. Fast wär ich ja
über Toyohashi gefahren... So kostet der Spaß 11.190 Yen,
gar nicht billig das. Und zu allem Überfluss nimmt er keine
Kreditkarte und knöpft mir gleich über die Hälfte von
den 20.000 Yen, die ich zuvor am Bankautomaten gezogen hatte, wieder
ab.
Sehr personalintensiv, die Bahnhöfe in Japan. Nach einem
vollautomatischen Ticket-Kontrollier-Automaten, der mich erstmal wild
anpiept, weil ich dachte, wenn da keine Schranke zu ist, darf man
durchgehen (nein, die Dinger sind bidirektional, und wenn auf einer
Seite einer reingeht, ohne ne Fahrkarte reinzustecken, geht auf der
anderen Seite schnell die Schranke zu und hält ihn auf, also doch
nicht wie in Paris), kommt jedenfalls nochmal eine menschliche
Fahrkartenkontrolleuse. Und am Bahnsteig steht dann an jeder
Wagentür ein wichtiger Uniformierter, der darüber wacht, ob
ich auch in den von mir reservierten Wagen steige und auch an der
richtigen Stelle warte. Das gibt mir ein Gefühl der Sicherheit;
ihm zeige ich einfach meine ausschließlich mit japanischen
Schriftzeichen und arabischen Ziffern bedruckte Fahrkarte und steige
beruhigt dort ein, wo ich ohne ihn auch eingestiegen wäre.
Am übernächsten Bahnhof beobachte ich diese
Türsteher aus dem Augenwinkel und sehe, dass sie tatsächlich
vor mir strammstehen, wenn der Zug abfährt. Nun ja,
wahrscheinlich nicht ausgerechnet vor mir, aber irgendwie doch
verblüffend synchron alle genau vor mir. Haben die ein
Europäer-Radar? Oder stehen die vor Wagen 2 stramm? Oder immer
genau, wenn sie das Ende des Zuges erblicken? Ich krieg mich immer
noch nicht wieder ein, das ist ja wie beim Bund, wenn einer
angeschrien wird und die Grundstellung einnimmt, wenn Ihr wisst, was
ich meine. Einer nach dem anderen. Nur dass hier einfach nur ein Zug
abfährt.
Ich finde, ein Sprachreiseveranstalter, der einen Deutschen mit
unbekannten Japanischkenntnissen nach Okazaki schickt, hätte ihm
ruhig erklären können, dass man in Ueno aus dem Bahnhof raus
und in einen 100 Meter entfernten anderen Bahnhof rein muss, um dort
in die Yamanote-Linie nach Tokyo zu steigen. So ne kleine
Wegbeschreibung könnte viel potenziellen Frust vermeiden. Aber
wie durch ein Wunder latsche ich immer genau in die richtige Richtung.
Das gilt auch fürs Besteigen des Shinkansen, wo ich den -
zugegebenermaßen englischen - Schildern folgend in einen der
drei Wagen für Leute ohne Reservierung steige, der sich - den
Teil versteh ich sogar in der japanischen Durchsage wieder - als einer
von zwei Nichtraucherwagen herausstellt.
Am Shinkansen könnte sich die Deutsche Bahn ne Scheibe
abschneiden. Super geräumig, super sauber (so ne Toilette hab ich
im Zug noch nie gesehen, und ein Desinfektionstuch für den
Toilettensitz ist auch dabei), super pünktlich und ... super
teuer. Da ist der Haken. An die 100 Euro für knapp 2 Stunden
Fahrvergnügen (muss das mit dem Yen mal noch umrechnen lernen,
sind wohl so eher in der Größenordnung 75).
Gerade als ich mich richtig gesetzt habe und mir überlege,
dass mir der Magen knurrt, kommt eine freundliche Japanarin mit o
bento , das ich beherzt für 1100 Yen kaufe. Mit dem
gleichnamigen Gericht, das wir beim Sushi Gim immer essen, hat es
optisch eine größere Ähnlichkeit als geschmacklich.
Aber es ist Fisch dabei, eine Art Fleischbällchen und so einige
Dinge, von denen ich nicht so recht beschreiben kann, wie sie
schmecken oder gar, was sie sind . Aber ich werde satt. Und der
Getränkeverkäufer kommt auch auf telepathischen Zuruf
vorbei, versteht meinen auf Japanisch geäußerten Wunsch
nach einem Wasser, um mir dann aber den Preis auf Englisch zu
nennen. Ja ja, ich hätte o mizu und nicht nur mizu
sagen müssen, diese Höflichkeitspartikel hätte da
reingehört, in der Theorie ist mir das schon klar. Oder liegts
doch einfach nur an meinen blonden Haaren und blauen Augen?
"Excuse me", höre ich von hinten, und eine Mitreisende weist
mich darauf hin, dass wir zur Rechten gerade Mount Fuji sehen ...
etliche Japaner schauen ebenfalls andächtig aus dem Fenster. Da
bin ich aber froh, dass ich jetzt weiß, welcher von den ganzen
Bergen das nun war, ich mache schnell ein Foto . Ansonsten gibts nicht
allzu viele Fotos vom ersten Tag, weil es mir mit meinem ganzen
Geraffel einfach zu blöd war, auch noch die ganze Zeit mit der
Kamera zu jonglieren.
Bei dem Vorortzug von Nagoya nach Okazaki erwische ich anscheinend
den falschen, nämlich einen, der an jedem Misthaufen hält.
Immerhin fährt er nach Okazaki, aber mit welchem Trick man den
Expresszug findet, der nicht überall hält, das muss ich wohl
nächstes Mal rausfinden. So kenne ich nun jeden Bahnhof zwischen
Nagoya und Okazaki.
Ich sitze ziemlich weit vorne und
beobachte mit Befremden den Fahrer, der in seiner adretten Uniform
stocksteif auf seinem Stühlchen sitzt und alle 30 Sekunden eine
amtlich aussehende Geste vollführt. Meist zeigt er mit dem (in
einem weißen Handschuh steckenden) Finger einfach geradeaus,
manchmal aber auch nach links oder rechts, so als wollte er seinem Zug
den Weg zeigen. Oder er fährt mit seinem Finger an Zeilen oder
Spalten seines Fahrplans entlang, um sich zu vergewissern, dass die
Bahnhöfe tatsächlich in der angekündigten Reihenfolge
kommen. In mir keimt der Verdacht, dass er wirklich im
30-Sekunden-Takt überprüft, wie weit er ist, um minutengenau
in den Bahnhöfen anzukommen und abzufahren. Ich trete näher
und überzeuge mich: Die Zeiten, die er auf seinem Plan stehen
hat, hält er tatsächlich exakt ein. Wahnsinn! Ich glaube,
eine ähnliche Geschichte steht in dem Buch "Darum nerven
Japaner", aber dass ich das gelesen habe, ist schon wieder so lange
her, dass ichs nicht mehr genau weiß. Vielleicht hätt ich
doch ein Foto machen sollen, aber ich bin mittlerweile so schlapp, wie
man es eben ist, wenn man eine Nacht quasi durchgemacht, nur eine
Stunde geschlafen hat, und es gefühlte Uhrzeit 8 Uhr morgens
ist.
Um 15 Uhr, pardon, 15:02, ich habe den Eindruck, er ist auf der
Zielgeraden extra langsam gefahren, damit er nicht vor 15:02 in
Okazaki ankommt, bin ich endlich da. Ich rufe (zum zweiten Mal, aber
ich kann ja nicht alles hier haarklein erzählen) die Sprachschule
an und werde abgeholt.
[Geschichte am Rande: Ich habe ein UMTS-Handy mit,
das mir unsere Mobilfunk-Fraktion oder eigentlich Vodafone geliehen
hat. Darin steckt meine O2-SIM-Karte. Meine Kollegen waren skeptisch,
ob denn das in Japan dasselbe UMTS ist wie in Deutschland, Ihr wisst
schon, wegen der linksdrehend polarisierten Funkwellen, während
in Deutschland ja bekanntlich Rechtsverkehr herrscht. Die O2-Hotline
glänzte auch mit großer Fachkkompetenz: Der erste Hotliner
fing an zu dozieren, dass ich ein Tri-Band-Handy brauche und ich habe
ihn unterbrochen und gemeint, dass er gerade das Tonband für
Amerika abspielt und ich etwas über UMTS wissen will. Der dann
eilends an die Strippe geholte UMTS-Fachman versichterte mir sehr
kompetent klingend und seiner Sache sicher, dass das UMTS ein anderes
sei und verwies mich an die Firma Cellhire, wo man für ein
Schweinegeld ein Handy nach dem Japan-eigenen Standard mieten und dann
für 6 Euro die Minute nach Hause telefonieren kann. Nein danke.
Meine eigenen Recherchen erwiesen sich doch als zutreffender; das
UTMS-Dingens, das ich wie gesagt freundlicherweise von Vodafone habe,
geht im japanischen Vodafone-Netz ganz prima. Ich will nur nicht
wirklich wissen, wie hoch die Gesprächsgebühren sind. Oder
gar, was passiert, wenn ich es schaffen sollte, damit über UMTS
ein Videotelefonat nach Deuschland zu führen. Ich glaub, das lass
ich lieber, die Reise war schon teuer genug.]
Zur Begrüßng erfahre ich in einem ziemlich langen
Wortschwall auf Japanisch, dass man noch keine Gastfamilie für
mich gefunden habe und das Wohnheimzimmer auch noch nicht frei sei,
sodass man mich in einem Hotel untergebracht habe. Weil ich Angst
habe, dass das, was ich gerade gehört habe, auch etwas komplett
anderes geheißen haben könnte, sage ich wakarimasen
und hör es mir nochmal auf Englisch an ... doch, ich bin
zufrieden, habe im ersten Durchgang erstaunlich viel aufgeschnappt. In
der englischen Version habe ich zusätzlich noch mitbekommen, dass
man sich weiterhin bemühen will, eine Gastfamilie zu finden, und
das vielleicht noch klappt. Und dass das mit dem Hotel nur für
eine Nacht sein soll, und es danach ins Wohnheim geht.
Das Hotel ist direkt gegenüber und sieht auf den ersten Blick
schmuddelig aus, das Zimmer ist aber sauber und halt klein. Hier ist
eine Schweinehitze, und als ich das Zimmer betrete, läuft mir der
Schweiß nur so runter (2. Stock, kein Aufzug). Das Zimmer ist
nicht klimatisiert. Mist. Nach einer ausgiebigen kalten Dusche
(pardon, lauwarmen Dusche, kälteres Wasser krieg ich hier einfach
nicht) schwitz ich weiter und finde zum Glück doch noch den
Schalter für die Klimaanlage. tasukarimashita - ich bin
gerettet, denk ich. Was auf dem Schild steht, das
zwischen Klimaanlagen-Schalter und Telefon hängt, weiß ich
nicht. Ich glaube, zwischen all den Zeichen die beiden für
denwa - Elektrizität-sprechen, also Telefon - zu erkennen.
Also handelt es sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nicht um
eine Warnung, die Klimaanlage nicht allzu doll einzuschalten. Die
Klimaanlage hilft relativ schnell, puh. Auf dem Bett liegt neben den
Handtüchern ein dünner Bademantel, und davor stehen
Plastik-Schlappen. Ansonsten ein eher einfaches Hotel westlichen
Standards. Ach ja, einen Hightech-Wasserkocher gibt es, den ich lieber
nicht anfasse, und dazu Teekanne, Teepulver und Teetasse. Ist also
doch in Japan ein bisschen anders als sonstwo.
Das Hotel hier ist ein bijinesu hoteru oder so. Also nix
Spaß, Business. Nach 23 Uhr kein Ein- oder Auslass und kein
warmes Wasser mehr. Frühstück nur von 7 bis 8, Checkout bis
10. Und morgens warmes Wasser zum Duschen auch nur von 6 bis 9. Na
Mahlzeit. Aber ich lebe ja eh in einer anderen Zeitzone, hab die
Klippen in der Bedienung des Dosenbier-Automaten im Erdgeschoss
umschifft und geh jetzt einfach schlafen. Und schließlich bin
ich nicht zum Vergnügen hier.
Der extra aus Deutschland mitgebrachte Adapterstecker für
japanische Steckdosen passt nicht. Ich hab so einen vornehmen mit, der
auch einen Erdungsstift hat, hier gibt es aber nur die
primitiv-amerikanischen zwei Schlitze. Also muss ich mein Tagebuch
schnell schreiben, denn wenn der Akku leer ist, ist er leer.
Offensichtlich hält er es bis zum Ende durch, denn jetzt werde
ich glaube ich demnächst erschöpft ins Bett fallen. Huch,
hier wird es ja um 19 Uhr Ortszeit schon dunkel. Das trifft sich ja
gut ...
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